5. Tag
Assuan – Isis-Tempel
Die Nacht über ankert unser Boot an der Nilinsel Kobania.
Welche Überraschung am Morgen: Keine Sonne, trüb, ein kalter Wind begleitet uns auf dem letzten Stück Nilfahrt nach Assuan. 9 km vor Assuan legt die Dahabeya am linken Nilufer an.
Wir frühstücken zum ersten Mal unter Deck.
Heute Vormittag ist die Besichtigung des Isis-Tempels auf der Insel Agilkia, oder auch Neu-Philae genannt, angesagt.
Ahmeds Organisation klappt wieder hervorragend. Wir fragen uns, wie das früher gehandhabt wurde als es noch keine Handys gab.
Nach dem Frühstück, um ½ 9 Uhr, holt uns ein kleines Motorboot-Fährschiff ab, um uns über den Nil zu bringen. Wir klettern eine kleine Anhöhe hinauf und schon werden wir von einem kleinen Bus erwartet, der uns zur Bootsanlegestelle zum Isis-Tempel in Assuan bringt.
Dort herrscht bereits reges Treiben, jedoch – wie durch Zauberkraft – haben wir in Null Komma Nix wieder ein Motorboot für uns, das uns an phantastischen Felsformationen vorbei – sie gehören zum 1. Katarakt – zur Insel bringt.
Wir steigen zum Isis-Tempel hinauf und, wie könnte es anders sein? Ahmed erklärt:
„Erstmal die Geschichte der Insel Philae. Sie wird als die Perle Ägyptens genannt. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, während des Baus des ersten Damms, wurde die Tempelanlage für mehrere Monate unter Wasser gesetzt.
Nach dem Bau des Assuan-Staudamms 1971 war der Tempel komplett unter Wasser. Ägypten bat die Welt um Hilfe und 40 Länder, darunter auch Deutschland, beteiligten sich an dieser Rettungsaktion.
Der erste Vorschlag, die Insel Philae komplett mit Glas zu ummanteln, wurde verworfen.
Der zweite Vorschlag kam zum Tagen: Zuerst wurde um die Insel ein Damm gebaut, das Wasser abgepumpt und die Bauwerke konnten dann austrocknen. Danach wurden die Steine nummeriert, in 37.363 Blöcke, die zwischen 2 und 25 t schwer waren und auf die 300 m entfernte, höher liegende Insel Agilkia verfrachtet und originalgetreu wieder aufgebaut. 3 Jahre nahmen diese Arbeiten in Anspruch und seit 1979 steht Philae auf der Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten.
Der älteste Bauteil von Philae stammt aus der Zeit Nektanebos I. (30. Dynastie), dann führten die Ptolemäer den Bau weiter und selbst die Römer bauten noch daran. Die Dekorationen stammen aus dieser Zeit.
Isis war sicher die beliebteste ägyptische Göttin. Sie stand als Göttin für die königliche Macht, sie war Gemahlin des Osiris und Mutter des Horus. Sie konnte das Dies- und Jenseits miteinander verbinden. Sie war gleichzeitig Mutter-, Frauen-, Geburts- und Totengöttin. Sie ist die Tochter des Geb und der Nut.
Der Isis-Kult ist derjenige, welcher der römischen Christianisierung am längsten widerstand. Selbst das Edikt des Kaisers Theodosis, der das Christentum 391 n. Chr. zur Staatsreligion erklärte, konnte die hartnäckigen Isisverehrer nicht von der Insel vertreiben. Der Tempelbetrieb wurde erst 537 n. Chr. auf Befehl Kaiser Justinian I. eingestellt.
Ahmed weist noch daraufhin, dass die letzte Hieroglypheninschrift aus dem Jahre 394 n. Chr. stammt.
Inzwischen sind wir oben am Tempel angekommen und sehen zwei lange Säulengänge, die den Aufgang zum Haupt-tempel flankieren. Wir stehen vor dem ersten Pylon, 45,8 m hoch und 18 m breit. Ptolemäus der XII ließ sich über-dimensional darstellen, nach dem Motto: „Ich bin da, ich bin der Herrscher“. Er opfert Isis, ihrem Sohn Horus, Ihrer Schwester Nephthys und der Göttin Hathor und wirft die Feinde nieder.
Vor dem Sockel gab es zwei Obelisken und zwei Löwen aus Granit.
In den seitlichen Nischen gibt es Halterungen für die Fahnen, die zu den verschiedenen Anlässen gehisst wurden.
Erinnerungsschriften der Franzosen von 1780 gedenken an den Kampf
der Franzosen gegen die Mamluken.
Wir betreten den Tempel und Ahmed macht uns neugierig, er will uns
etwas zeigen, das nur einmal in Ägypten dargestellt ist. Aber erst später.
Zuerst bestaunen wir im Innenhof die Säulen, die an den oberen Enden das Gesicht der Göttin Hathor tragen. Nur diese Göttin wurde von vorne abgebildet, die Gesichter aller anderen Götter sind immer von der Seite dargestellt.
Von dort gelangen wir in den beeindruckenden Hauptteil, den eigentlichen Isistempel, welcher der Göttin und ihrem Sohn Hapokrates geweiht war.
Ahmed erklärt uns, dass die Bezeichnung „Harpokates“ die Bezeichnung für Horus in kindlicher Form war. In der Darstellung „Horus als Kind“ wurde er nackt mit Jugendlocke und Finger im Mund abgebildet, teilweise auch auf dem Schoß seiner Mutter Isis sitzend.
Auf dem zweiten Phylon sehen wir wieder Ptolemäus den XII. wie er den Göttern opfert. Innerhalb des Vorhofes befindet sich eines der schönsten und besterhaltensten Geburtshäuser. Die Reliefs dort zeigen Szenen aus der Kindheit des Horus, dem Sohn der Isis, die mit diesem Haus für die Geburt geehrt wurde. Dem Geburtshaus gegenüber liegen Gebäude für die Priesterschaft.
Der große Granitstein ist eine Schenkung Ptolemäus des VI., denn in seinem 24. Regierungsjahr war er hier.
Ahmed macht uns auf die stark zerstörten Reliefs aufmerksam, wie wir sie bereits im Edfu-Tempel gesehen haben. Dies haben die Christen zu verantworten, denn in römischer Zeit wurde der Tempel in eine Kirche umgewandelt. Wir sehen überall christliche Inschriften und Kreuze.
Durch eine Seitenpforte gelangen wir zum Hadrianstor, das auf die dem ursprünglichen Standort benachbarte Insel Bigge ausgerichtet war. Der Sage nach fand Isis auf Bigge den Kopf von Osiris und hier soll sich auch das Grab des Osiris befinden.
Im Hadrianstor ist die von Ahmed versprochene einmalige Darstellung, die es sonst nicht in Ägypten gibt:
„In der Nordwestecke des Tors sehen wir ein kleines Relief:
In seiner Höhle, tief unter den Granitblöcken des Katarakts, kauert der Nilgott Hapi. In den Händen hält er zwei Gefäße, aus denen der Fluss gespeist wird und eine Schlange umrankt das Ganze.“
Man nahm früher an, dass die Quelle des Nils hier im 1. Katarakt lag.
Ahmed macht uns noch auf eine schöne Darstellung des Osiris in Gestalt eines Vogels aufmerksam mit seiner Seele KA, dem Doppelgänger.
Wir machen noch einen kleinen Spaziergang vorbei am Hathortempel, der von Ptolemäus VI. und VIII erbaut wurde, unter Kaiser Augusts wurden Erweiterungsarbeiten fortgeführt. Hathor, die Göttin der Liebe und Mutterschaft. Diesen Tempel darf man nicht betreten, jedoch macht uns Ahmed von außen auf die Reliefs aufmerksam, die den Gott Seth zeigen wie er Harfe und Tamburin spielt.
Natürlich besichtigen wir auch noch den Trajanskiosk, der unterKaiser Trajan (98 – 117 n. Chr.) erbaut worden sein soll. Er sollte eine Ost-West-Prozessionsachse zum Haupttempel schaffen. Das Bauwerk blieb jedoch unvollendet, da Reliefs und Inschriften fehlen.
Anschließend haben wir uns eine Teepause verdient. Ahmed unterbreitet uns die Alternative für die Gestaltung des Nachmittags:
Wir haben die Möglichkeit, jetzt wieder zum Schiff zurückzukehren, dort Mittag zu essen und am Nachmittag den fakultativen Ausflug auf die Insel Elephantine und die Besichtigung eines nubischen Dorfes sowie die Stadtrundfahrt vorzunehmen.
Oder: Wir schließen diesen Ausflug jetzt sofort an, nehmen ein späteres Mittagessen zu uns und machen am Nachmittag – nach einer Ruhepause – die Stadtrundfahrt mit Besichtigungen.
Wir entscheiden einmütig: Späteres Mittagessen.
Also ordert Ahmed wieder ein Motorboot und es geht zurück zur Anlegestelle. Wo wir bereits wieder von dem Minibus erwartet werden und erst mal zum Assuan-Staudamm weiterfahren.