St. Petersburg – Moskau
20.8. bis 30.8.2006
Samstag, 26.8.2006
Es regnet!
Nach dem reichhaltigen Frühstück höre ich mir einen Vortrag von Julia über „Gorbatschow & Perestroika“ an. Sie ist gut geschult, arbeitet mit PC und Leinwand und gestaltet es viel ansprechender als Nelly. Übrigens: Julia ist Deutschlehrerin und arbeitet von Mai bis Oktober auf dem Schiff, dafür gibt ihr ihre Schuldirektorin frei. Sie hat deutsch im Goethe-Institut gelernt.
Sie erläutert, dass Michail Gorbatschow, der im Jahre 1985 an die Macht kam, mit seiner Politik von Perestroika und Glasnost das politische Klima grundlegend veränderte. Seine Ziele waren die Liberalisierung der Wirtschaft, Pressefreiheit und eine Änderung der Ver-fassung. Die Reformen Gorbatschows wurden jedoch als inkonsequent kritisiert.
Sie geht auf Glasnost = Klarheit und die Perestroika = Umgestaltung ein. Aber auch hier der Tenor: Gorbatschow ist im Westen der liebe „Gorbi“ und in Russland eine gehasste Person.
Ein fehlgeschlagener Staaatsstreich im August 1991 beschleunigte den Niedergang des kommunistischen Regimes und läutete sein Ende ein.
Julia brachte, um die verschiedenen Aeren der Präsidenten und ihre Wirkungsweise darzulegen, folgende Geschichte:
Es wird eine Bahnstrecke in die Zukunft gebaut und die Schienen sind zu Ende:
Lenin sitzt im Zug und als sie zum Ende der Strecke kommen, da ruft Lenin die Bewohner Russlands zusammen und spricht zu ihnen: „Liebe Genossinnen und Genossen, wir bauen für unsere Kinder eine glückliche Zukunft.“ und alle packen an und die Fahrt kann fortgesetzt werden.
Stalin sitzt im Zug. Ihm ergeht es ebenso. Die Schienen sind zu Ende. Er befiehlt: „Jeder Zweite wird erschossen und die anderen werden zur Zwangsarbeit gezwungen.“ Die Fahrt geht weiter.
Cruschtschow sitzt im Zug. Die Schienen sind zu Ende. Er befiehlt: “Baut die Schienen hinten ab und vorne setzt sie wieder dran“. Die Fahrt geht weiter.
Breschnew sitzt im Zug. Die Schienen sind zu Ende. Er befiehlt: „Zieht die Vorhänge zu,
die eine Hälfte der Bevölkerung schaukelt den Zug, die andere macht die entsprechenden Geräusche.
Gorbatschow sitzt im Zug. Die Schienen sind zu Ende. Er hält eine Rede: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Hier ist die Reise zu Ende.“
Das soll uns symbolisieren, dass Gorbatschow Russland ins Aus geführt hat, ist Julias Aussage.
Den Vortrag von Nelly über die Russische Küche spare ich mir und bin dann auch sehr froh, als ich erfahre, dass die Teilnehmer emsig Servietten gefaltet haben und keine Rezepte erhielten.
Wir befahren schon seit geraumer Zeit den Rybinsker Stausee. 1941 begann man mit der Überflutung der Gebiete zwischen der oberen Wolga und den Flüssen Mologa und Scheksna.
Mit der Fertigstellung des Damms und des Wasserkraftwerks bei Rybinsk war der südlichste Teil des Wolga Baltik Kanals fertiggestellt und erreicht eine Fläche von 4.500 qkm. Der Stausee ist fast zehnmal so groß wie der Bodensee, jedoch nur mit einer Durchschnittstiefe von fünf Metern. Rund 700 Ortschaften, Dutzende von Kirchen und drei Klöster sind in diesem „russischen Atlantis“ in den Fluten versunken, etwa 150 000 Menschen wurden zwangsweise umgesiedelt. Eine Kirche ragt aus dem Wasser und es geht die Sage, dass ihre Glocken wie von Geisterhand zu läuten begannen, als der Pegel immer höher stieg.
Beim Verlassen es Stausees nimmt das Schiff Kurs auf den linken Flussarm und fährt in die Schleuse von Rybinsk, die von einer Statue der Wolga-Mutter dominiert wird.
Nachdem ich über die diversen Gewässer berichtet habe, soll die Wolga, auch wenn wir nur ein winziges Stück von ihrer Gesamtlänge von 4.000 km befahren, nicht zu kurz kommen, denn immerhin ist die Wolga der längste Fluss Europas. Ihre Quelle befindet sich in den abgelegenen Valdai-Bergen im Westen und Süden des Rybinsker Stausees. Die Wolga verläuft in Mäandern östlich und nördlich des Reservoirs, ändert dann ihre Richtung, fließt weiter nach Südosten Richtung Jaroslvl und mündet schließlich ins Kaspische Meer. Die Hälfte der Schiffsfracht Russlands wird über die Wolga transportiert, und das Wolga Wasser wird zur Bewässerung der Steppenregion des Südens genutzt. Fast auf seiner gesamten Länge ist der Fluss schiffbar, und zwar von März bis Mitte Dezember. Das russische Volk fühlt sich seit jeher eng mit der Wolga verbunden. Der Strom hat mythologischen Status und inspirierte zahlreiche Dichter, Maler und Musiker. Die Boote wurden vom Ufer aus an langen Seilen von Männern gezogen. Damals war menschliche Arbeitskraft billiger als Pferde oder andere Zugtiere. Um sich die schwere Arbeit zu erleichtern, sangen die Männer, während sie im Rhythmus ihres Gesangs zogen.
Im 20. Jahrhundert wurden zahlreiche Wasserkraftwerke gebaut, um die Stromversorgung des Landes zu verbessern. Dadurch wurde der Fluss in eine Kette von riesigen Reservoirs eingeteilt. Die vollständige Eindämmung des Flusses wird heute als ein großer Fehler erkannt, sowohl aus ökologischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht.
Es wurden nicht nur riesige Waldflächen überflutet und das Ökosystem zerstört, sondern der Stromgewinn war vernichtend klein und stand in keinem Verhältnis zu den Schäden, die angerichtet wurden.
Von den großen Wasserreservoirs entlang der Wolga wird auf der Reise zwischen St. Petersburg und Moskau nur das Rybinsk Reservoir befahren.
Um 11.15 Uhr bei der „Hafenpräsentation“ wird uns der morgige Ausflug nach Uglitsch näher gebracht und dass wir zeitig den halbstündigen Spaziergang zu den Kirchen machen müssen, da Sonntag ist und wir die später beginnenden Messen nicht stören dürfen.
Schon um 12.15 Uhr ist wieder Mittagessen, da wir um 14 Uhr in Jaroslavl anlegen und für 15 Uhr der Landausflug mit Stadtrundfahrt angesagt ist.
Um nach Jaroslavl zu gelangen verlassen wir unseren direkten Wasserweg nach Moskau und fahren ein Stück auf der Wolga.
In Jaroslavl erklärt uns der gut deutsch sprechende örtliche Reiseleiter die Lage und Geschichte der Stadt.
Selbstverständlich ist er stolz – und kann es auch sein – denn Jaroslavl zählt zu den ältesten und berühmtesten Städten Russlands. In der Vergangenheit ein blühendes Handelszentrum, verfügt die Stadt über eine Vielzahl kleiner Kirchen und ein wunderschönes Uferpanorama.
Die Stadt erstreckt sich über 29 km an beiden Flussufern und ist ein wichtiger Wolgahafen mit einer Einwohnerzahl von 600.000. Sie wurde im 11. Jahrhundert von Jaroslav dem Weisen gegründet.
Vom 8. bis 10. Jahrhundert bewohnten finno-urgische Stämme die hohen Ufer der Wolga in der Gegend der Mündung ihres Nebenflusses Kotorosl. Die Siedlung wurde „Ecke des Bären“ genannt, da die finno-urgischen Heiden Bären verehrten und anbeteten. Von Zeit zu Zeit nutzen einige Stammesmitglieder ihre günstige Position an Jaroslav dem Weisen aus, um vorbeifahrenden Handelsschiffen aufzulauern. Fürst Jaroslav der Weise aus Rostow, wurde von erbosten Händlern um Hilfe gebeten, segelte eines Tages zusammen mit einigen Getreuen hierher, um mit den Ortsbewohnern zu reden und sie von ihren Irrwegen abzubringen. Die jedoch ließen einen wilden Bären auf ihn los. In einem sicherlich beeindruckenden Ringkampf besiegte und tötete Jaroslav den Bären, was gleichzeitig die Unterwerfung der erstaunten Zuschauer bedeutete. Er befahl nun, eine Kirche zu bauen und gründete die Stadt Jaroslavl.
Soweit die Legende zur Gründung von Jaroslavl im Jahre 1010.
Zur Erinnerung daran befindet sich auf dem Stadtwappen ein Bär.
Was lässt sich noch über die Stadt sagen? Jaroslavl ist nach wie vor ein wichtiges kommerzielles Zentrum und ein Verkehrsknotenpunkt. Über Bahn, Flugzeug, Schiff und Strassen (einschließlich der 289 km langen, bei Banditen beliebten Trasse in die Hauptstadt) ist die Stadt mit Moskau und allen wichtigen Zentren des Landes verbunden. Die meisten der Einwohner arbeiten in den verschiedenen örtlichen Industrien, zu denen Ölraffinerie sowie Fabriken zur Herstellung von Gummireifen, Dieselmotoren, Textilien und Emaille gehören. Außerdem ist die Stadt ein Zentrum der Viehzucht: hier werden die berühmten Romanowskaja-Schafe sowie eine auf internationalen Wettbewerben ausgezeichnete Rinderrasse gezüchtet.
Der Reiseführer lässt uns erst mal an der Dreikönigskirche (auch Epiphane-Kirche) aussteigen. Bemerkenswert ist hier der Farbkontrast: rot geziegelte Fassade mit farben-prächtigen glasierten Ziegeln dekoriert, auf denen Ranken, Blumen und geometrische Muster zu sehen sind. 5 grüne Kuppeln erheben sich darüber und zur Abrundung eine bunte Wiesen-blumenmischung vor dem Eingang stimmt uns schon mal auf das Innere ein. Eine wunderbar Ikonenwand mit den verschiedenen Ebenen, der Lokalen-, der Festtags-, der Anbetung-, der Propheten- und der Urväter-Reihe beeindruckt uns tief.
Mir fällt eine Madonnen-Ikone mit Jesuskind in einem Kelch auf. Davor ist eine Schnur mit diversen Ringen aufgehangen. Der Reiseleiter erklärt, das ist der „sich nicht leerende Kelch“ und die Ikone wird um Hilfe von Frauen angerufen, deren Männer trinken.
Während der Weiterfahrt zum Marktplatz mit der wohl schönsten Kirche der Stadt erläutert uns der Reiseleiter, wie viele Universitäten, wie viele Theater (das erste Russlands überhaupt, von Fjodor Volkov gegründet und 1750 erbaut) und überhaupt alles vom Besten und Feinsten.
Auf dem Rathausplatz steigen wir aus und gehen zur Kirche des Propheten Eliah . Wirklich, uns bleibt fast die Luft weg. Phantastisch. Die Kirche ist komplett ausgemalt, bis hoch in die Kuppel hinein. Kein Fitzelchen freie Fläche. Auch hier wieder am Altar die Ikonenwand, die Ikonostase, mit einer wunderschönen Türe, die während der Messe aufgemacht wird. Die Ikonen sind Bildnisse Christi, der Jungfau Maria, der Apostel und anderer Heiliger, sowie biblischer Szenen oder Heiligenlegenden auf Holztafeln. Man kann gar nicht alles aufnehmen. Manfred geht Ansichtskarten kaufen, und das will was heißen!
Auch hier bekommen wir eine Gesangs-Kostprobe und so mit Eindrücken voll werden wir ins pralle Leben, einen einheimischen Markt geworfen. Da sind wir beide schnell durch und machen noch einen kleinen Rundgang durch die Stadt die zum sogenannten „Goldenen Ring“ gehört, einer Gruppe historisch bedeutsamer Städte nordöstlich von Moskau.
Der Bus bringt uns zur Wolgapromenade, die mit ihrer Lindenallee zu den schönsten an der Wolga gehört und auch als Ausflugsziel der Einheimischen genutzt wird. Wir flanieren bei trockenem Wetter mit 20 Grad an der Flusspromenade und durch den Park und dann zum Bus auf dass er uns noch zu einer Ikonen-Malschule bringt. Hier wird uns die Technik erklärt. Die Holztafeln werden mit Minerlafarben bemalt und mit einem Schutzfilm aus Leinöl überzogen. Ihre Ursprünge reichen weit zurück in das byzantische Reich. Ikonen zu malen galt und gilt als liturgische Handlungen und blieb ursprüglich Mönchen und Popen vorbehalten, die als Werkzeuge Gottes galten.
Und weiter geht es zu einer Werkstätte der Lackmalerei. Es werden uns die Unterschiede der verschiedenen Werkstätten: Palech, Mstjora und Cholui erklärt.
Eine kleine Lackdose (ca. 6 x 8 cm) mit einer Winterlandschaft bemalt hätte es mir angetan, kostete jedoch 562 US-Dollar. Noch Fragen?
Zurück auf dem Schiff hieß es um 19 Uhr wieder „Leinen los“ . Von Deck aus noch mal ein Blick auf die Stadt und um 19.30 Uhr ging es zum Abendessen. Anschließend – wie üblich – in die Panoramabar zum Absacker. Heute leistete uns das Ehepaar vom Nachbartisch Gesellschaft und um 22.20 meinten wir, anstandshalber sollte man sich doch bei der um 20 Uhr begonnenen Crew-Show sehen lassen. Haben es dann nicht bereut, war recht witzig, aber als dann die Polonaise und das Tanzen los ging, wollte Manfred – immerhin nach einem klitze-kleinen Tänzchen – ganz schnell zur Kabine.
Mitternacht! Gute Nacht!