Freitag, 4. Juni 2004
Um 9 Uhr sollte es mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Pester Innenstadt losgehen. Morgendliches Kurbaden, frühstücken, alles normal. Jedoch auf dem gepflasterten Weg zur Vorortbahn habe ich nicht auf den Weg geachtet, und patsch, da lag ich in der Matsche. So konnte ich nicht fahren. Tasche, Schuhe, Anzug, die rechte Seite, alles dreckig. Im Eilgalopp zurück ins Hotel und schnell umgezogen. So mußten wir halt die nächste Bahn nehmen.
Spaziergang in der Leopoldstadt war angesagt. Die Leopoldstadt nördlich des alten Pest entstand Anfang des 19. Jahrhunderts als Finanz- und Verwaltungszentrum mit stattlichen Jahrhundertwendebauten um großzügige Plätze. „Hier wohnt die Creme jeder Klasse, die oberen Zehntausend der Industrie, des Handels, der Behörden und der Privaten“. Was Jenö Rákosi 1893 schrieb, gilt in gewisser Weise auch heute noch. Erstes Beispiel ist der Roosvelt tér am östlichen Brückenkopf der Kettenbrücke.
Der erste Halt war das Imre-Nagy-Denkmal (Notsch), das 1996 errichtet wurde . Das Denkmal zeigt Imre Nagy auf einer Brücke, das seinen Spagat zwischen Kommunismus und Kapitalismus versinnbildlichen soll.
1953 wird nach Stalins Tod der zu wirtschaftlichen und politischen Reformen bereite Imre Nagy Ministerpräsident. 1955 stürzt die Rákosi-Partei Imre Nagy. Am 23. Oktober 1956 ist der Ausbruch des ungarischen Volksaufstands. Imre Nagy wird erneut Ministerpräsident und kündigt den Warschauerpakt. Leider nur für kurze Zeit.
Am 4. November 1956 bildet János Kádár eine Gegenregierung und schlägt mit Hilfe der Roten Armee den Volksaufstand brutal nieder. Imre Nagy wird verhaftet und später hingerichtet. Etwa 200 000 Ungarn emigrieren ins westliche Ausland. Parteichef Kádar wird wieder Regierungschef und lenkt für gut 30 Jahre Ungarns Schicksal.
So historisch schlau gemacht, spazieren wir zum Herzen des Viertels, dem hufeisenförmig angelegten Szabadság tér. Der Freiheitsplatz, bis 1898 noch mit Kasernen bestückt, wurde nach deren Abriß mit den umliegenden Straßen einheitlich gestaltet. In der Mitte befindet sich das von den Kommunisten zu Ehren des unbekannten Soldaten erstellte Denkmal. Links davon befindet sich die schwer bewachte und abgeschirmte amerikanische Botschaft, in der Kardinal Mindszenty 15 Jahre Asyl gewährt wurde. 15 lange Jahre durfte er nicht einmal auf die Straße.
Unser Reiseleiter wird von einem Sicherheitsbeamten außer Dienst angeraunzt, er wäre schon bekannt und er solle aufpassen. Herr Alexander erklärt uns, daß er ja in einer Demokratie lebe und es sich nicht nehmen ließe, auch – wenn nicht gewünscht – Gruppen vor der Botschaft anhalten zu lassen und ihnen Erklärungen abzugeben.
Etwas betroffen marschierten wir die paar Schritte zur kleinen Markthalle, in der eine Salami- und Weinprobe angesagt war.
So gestärkt, bewunderten wir gebührend die 1900 erbaute ehemalige Postsparkasse, ein Beispiel des ungarischen Jugendstils. Das mit Majoliken verzierte Gebäude, das an volkstümliche Stickereien erinnert, eine Arbeit des bedeutenden Ödön Lechner.
Vorbei an weiteren Jugendstilbauten in den unterschiedlichsten Ausführungen kommen wir zur Sankt-Stephans-Basilika.
Der bereits 1848 begonnene mächtige Kuppelbau konnte aufgrund zahlreicher Probleme wie dem vorzeitigen Tod der Architekten József Hild und Miklós Ybl sowie dem Einsturz der ersten Kuppel erst 1905 eingeweiht werden. Aufgrund ihrer Größe nannte man die 8500 Personen fassende Kirche schon immer Basilika. Erst 1931 erhielt sie offiziell den Rang einer „Basilica minor“ und heute ist sie Sitz des Erzbischofs von Esztergom. Die prächtig ausgeschmückte Kirche, deren Grundriß einem griechischen Kreuz entspricht, erhebt sich auf einer Grundfläche von 4147 qm. Ihr größter Schatz ist die in einem kostbaren Schrein aufbewahrte Reliquie des Heiligen und Landesvaters Stephan, seine rechte Hand.
Nach dieser Besichtigung spazieren wir zur Großen Synagoge. Die Pläne für das im maurischen Stil gestaltete Gebäude lieferte Ludwig Förster. Das 1858 fertig gestellte Gebäude zählt mit rund 3000 Plätzen zu den weltgrößten Synagogen. Da nur vorgesehen ist, die Synagoge nur von außen zu besichtigen und – wer will – sie später im Alleingang von innen zu besichtigen, schlage ich die Zeit raus, noch schnell einen Blick in das Innere werfen zu können. Riesig, wunderschön mit herrlichen Kronleuchtern.
Nur um die Ecke, sozusagen, befand sich das Elternhaus von Theodor Herzl (1860-1904), dem Begründer der Zionistenbewegung. 1944 entstand hinter dem Gebäude das jüdische Ghetto. Im rückwärtigen Garten befinden sich die Massengräber der Opfer des Ghettos. Hier wurde 1990 eine Gedenkstätte eingeweiht. Das Werk des Bildhauers Imre Varga stellt eine Trauerweide dar, auf deren Blätter die Sponsoren die Namen ihrer betroffenen Verwandten oder Bekannten eingravieren können.
Ganz in der Nähe, vor dem Hus Dob utca 12, erinnert ein Denkmal an den schweizerischen Konsul Carl Lutz, der, wie der schwedische Botschafter Raoul Wallenberg, zahlreiche Juden vor dem Holocaust retten konnte. Ihm ist auch zu verdanken, daß die geplante Sprengung des Ghettos aufgehoben wurde. Obwohl der größte Teil der Budapester Juden – ihr Bevölkerungsanteil ist von 5 % vor dem Krieg auf 0,5 % zurückgegangen – nicht mehr hier lebt, ist um den Klauzál tér und die Kazinczy utca noch immer etwas von der Atmosphäre des alten jüdischen Viertels spürbar.
Wir stehen auch vor der arg mitgenommenen Synagoge, die von Otto Wagner und Mór Kallina erbaut wurde. Die jüdische Gemeinde hat sie der Stadt Budapest geschenkt, in der Hoffnung, daß die Stadt das Geld für die Restaurierung aufbringt, was sie nicht kann.
Damit nähern wir uns dem Ende unseres vormittäglichen Rundgangs und auf dem Deak Ferenc tér trennen wir uns um 13.00 Uhr. Der Nachmittag steht zur freien Verfügung.
Manfred und ich nutzen dies, um im Kaffee Gerbeaud einen Milchkaffee und Wasser zu trinken. Dann fährt Manfred mit mir 2 Stationen mit der gelben Linie der Metro bis Deák tér, um dann in die rote Linie, die unter der Donau durchgeführt wird, umzusteigen und mit der Vorortbahn zum Hotel zum Relaxen zurückzufahren. Ich hatte mir noch einen Besuch im Museum der Bildenden Künste am Heldenplatz gewünscht und fuhr die 8 Stationen dorthin. Zuerst sah ich mir die Alberto Giacometti Ausstellung an und pickte mir dann die Säle heraus, in denen die Meisterwerke untergebracht sind, für die dieses Museum besonders bekannt ist: die alten Meister der italienischen und spanischen Schule. Ein Höhepunkt sind die Werke von El Greco.
Bei den italienischen Werken gefiel mir besonders „Madonna mit Kind und Infant St. John the Baptist von Elisabeta Sircin (Bologna 1638-1655). Ich fand es ganz beachtlich, daß eine Frau um diese Zeit schon so anerkannt war.
„Castiglione“ von Giovanni Benedetto (Genua 1609 – 1664) und Tiziano Vecellio „Titian“ (Pieve de Cadore 1489-1576 Venedig).
War es Zufall, noch ein Werk einer Frau das mir sehr gut gefiel: „Die Frau von Miklos II, Esterházy als Venus“ von Angelika Kaufmann aus Chur (1741-1807).
Beeindruckt hat mich auf von Peter Paul Rubens (1577 Siegen-1640 Antwerpen) „Studie eines Manneskopfes“.
Bernart de Rijcherle (1535-1590) „Diana und Actaean „Die Badenden“.
Verblüffend war das Calvarien Tryptchon von Hans Memling (Seligenstadt 1435-1494 Brügge)
Dahinter waren Spiegel angebracht, so daß man auch die Rückseiten betrachten konnte.
Von den Kastilianischen Malern des 16 Jahrhunderts gefiel mir besonders Herrera Sevilla (1590-1656 Madrid) Barboloné Esteba Murilla /Sevilla 1618-1682) „Hlg. Familie“.
Ganz besonders gefiel mir von Pascal Adolph Jean Dagnan-Bouveret (1852-1929) „Landschaft mit 3 Bäumen.
Überrascht war ich, wie groß der Anteil der deutschen Maler war. Von Franz Lenbach (1836-1904) „Triumph Arch of Titus in Rom“, über Pettenkofer, Menzl, Fritz von Uhde, Franz von Stuck und Makat Böckling.
Wie immer, für Museen bräuchte man viel, viel mehr Zeit. Aber wenigstens hatte ich einen kleinen Überblick. Zurück mit der Metro bis zur nun schon gut bekannten Haltestelle „Bajcsy-Zsilinsky ut“.
Von hier flanierte ich nochmals die Váci utca bis zur großen Markthalle. Kaufte in der schon bekannten Buchhandlung für den Enkel ein Buch „Ungarische Volksmärchen“. Wie sagt der Reiseführer über diese Flaniermeile: „Hierher muß jeder Budapest-Besucher einmal pilgern, denn in der Fußgängerzone schlägt der Puls der Stadt. Die Auslagen der mondänen Geschäfte verlocken zum Kauf, und nach dem Shopping kann man in Espressos-, Bier- oder Weinstuben Pause machen.“ Das tat ich nicht. Schade finde ich auch, daß in den großen Städten allmählich ein Einheitsbrei aus Geschäften besteht: Benetton, Esprit, Sisly, CD, Douglas usw. Die Markthalle dagegen war grandios. Im unteren Bereich Lebensmittel jeder nur erdenklichen Art und im 1. Stockwerk eine „Freßmeile“ mit Imbißständen, Folklore-Artikel, Bekleidung, etc.
Mit der Straßenbahn fuhr ich zur Donaupromenade und ging über die Kettenbrücke. Ich wollte doch wenigstens einmal die Donau „zu Fuß“ überqueren.
Diese Brücke wurde im Jahre 1849 eingeweiht und zwischen zwei mächtigen Toren gespannte Eisenketten tragen die 380 m lange Konstruktion. Der englische Brückenbaumeister Clark Àdám leitete 1853 den Bau des 359 langen Alagút-Tunnels durch den Burgberg sowie den Bau der Kettenbrücke, der ersten festen Donauüberquerung ein. Der Initiator war Graf István Széchenyi.
Pech war, auf halbem Weg, fing es heftigst an zu regnen. Zwar hatte ich einen Schirm, aber es war sehr ungemütlich.
Im Hotel angekommen war natürlich wieder Thermenbesuch angesagt. Danach etwas relaxen und um 18.30 Uhr gingen wir zum Abendessen, da wir als Einzige der Gruppe den Besuch eines Folkloreabends gebucht hatten. Wir fragten uns inzwischen zwar auch, was uns da geritten hatte, aber da wir die Karten bereits für je 22 Euro hatten, machten wir uns auf den bekannten Weg mit der Vorortbahn und Metro. In einem großen Bogen an der Stephans-Basilika vorbei gelangten wir Zrínyi utca 5. Angenehm überrascht waren wir schon mal über die Lokalität: ein kleines Theater, fast vergleichbar mit dem Münchner Cuvillie-Theater, also sehr stilvoll. Eine 11 köpfige Kapelle, das Rajkó Folk Ensemble spielte uns 1 ½ Stunden auf und die 13 Tänzerinnen und Tänzer bezauberten uns. Das Ensemble wurde 1957 gegründet und gehört mit zu den drei der besten ungarischen Volkstanzgruppen. Die Choreografie basiert auf authentischen Tänzen, einige dieser Tänze stammen aus isolierten Dörfern und entstanden vor hunderten Jahren. Brahms „Ungarische Tänze“ sowie Liszt „Ungarische Rhapsody Nr. 2“ wurden meisterlich dargebracht. Jeweils 2 Stücke waren instrumental, dann wieder aufgelockert durch Tanzdarbietung, fast ballettartig.
Nach diesem unerwartet wirklich schönem Abend war selbst Manfred nach „zu Fuß“ gehen und wir gingen gemeinsam über die Kettenbrücke und wurden von dem hell erleuchteten Buda und Burgberg und Pest, mit seinen Prachtbauten, verzaubert.
Der Abend hat sich gelohnt! Was will man mehr?